Samstag, 25. Februar 2023

die wagen ihrer mutter

es ist ein trübgrauer donnerstagmorgen als tess in den archivraum geht, akten einscannen. vor dem fenster ein fiat ducato, ein kastenwagen mit auffälliger werbelackierung, ohne fenster im kastenteil. die schiebetür öffnet sich und ein mann steigt aus. tess achtet mit fingerspitzendruck auf den scanner, der gerne papier doppelt zieht und sieht dem mann draußen zu. er hat schlabbrige shorts an, die unter dem steissbein hängen, nackte waden in schlappen, zu kalt für den februar. kurz überlegt sie, ob er im wagen geschlafen hat. 
als er nach vorne geht, die beifahrertür öffnet, sich hineinbeugt, noch mehr poritze zeigt, eine zigarette nimmt, sie das zickzickzick des feuerzeugs durchs geschlossene fenster nicht hören kann, aber trotzdem hört, rollt die geruchserinnerung wie eine woge über sie hin.

kalter zigarrettenrauch in einem auto, gemischt mit dem geruch von plastik, metall und benzin und, im wagen ihrer mutter, immer mit druckerschwärze.
ein bitterer geruch, sauer, kratzig und rauh.

tess schüttelt den kopf. so hatte der ockergelbe vw polo gerochen. lehmfarben wie die erde ihrer heimat. ein auto, dem man den dreck nicht ansah, das den ganzen sommer unter der zuckernden trauerweide stand und mit einer schicht läusesüß, strassenstaub und lehm bedeckt war, die die scheibenwischer nicht packten. dann musste ein eimer mit wasser her. in die waschstrasse fuhr die mutter nicht, lohnt sich nicht, da müsste ich dreimal durch bei dem bapp. im herbst gibt es regen.

der wagen war ihr dritter gewesen. ein notkauf, nachdem die mutter den funkelnagelneuen toyota, auf den sie so lange gespart hatte, an einem eisglatten herbstmorgen kopfüber durch ein feld pflügend zu schrott gefahren hatte, unversichert natürlich.
tess lebte zu dem zeitpunkt schon nicht mehr zuhause. sie war in ihrer alten studentenstadt in eine nichtraucher-WG gezogen, wo sie dennoch monatelang reflexhaft beim einkaufen ins zigarettenregal griff nach der marke der mutter. 

am wochenende war sie heimgekommen. der toyota fehlte und auf der treppe stand mutters einkaufskorb, schlammverschmiert. was ist passiert, fragte sie. die mutter erzählte, wie der wagen bei glatteis weggeschleudert war und sie auf dem kopf stehend, die brennende zigarette noch immer in der hand, zum stehen gekommen war. es könnte benzin ausgelaufen sein, hatte sie gedacht und die kippe konzentriert im wagenhimmel ausgedrückt.

der wagen war futsch, das geld auch. der unfassbar schielende tankstellenmann, eine seele von mensch von drei zentnern, der sie schon jahrelang kannte, hatte mitleid und einen alten polo im hof, den er ihr günstig verkaufte. sie fuhr ihn jahrzehnte.
druckerschwärze, abgasmief, fahrzeugplastik, das roch, wie fahrzeugplastik in den siebzigern gerochen hatte und nikotin.
eine schmierige schwarze schicht, die innen auf der windschutzscheibe klebte. war sie beschlagen und man wischte darauf herum wurde sie nur noch schlieriger und alle ärmel, taschentücher und lappen waren schwarz.

der erste wagen war eine ente gewesen. mutters protest gegen die stigmatisierung im ort, gegen scheele blicke und getuschel, geschiedene frau, alleinerziehend (wenn man die großmutter vergaß, die tess jahrelang mittags mit essen versorgte, ehe sie sich, selbst schon über siebzig, zum mittagsschlaf hinlegte und das mädchen seine schularbeiten machen hieß). tess' mutter arbeitete in einem männerberuf, in dem ihr keiner was vormachen konnte. sie war stolz. auf ihren job, auf ihre entscheidungen, auf ihr leben.

sie war 35 als der mann ging, oder von ihr gegangen wurde. tess war nie etwas erklärt worden zur trennung ihrer eltern. sie wurde vor vollendete tatsachen gestellt und der vater war weg. die mutter lernte mit 35 autofahren, fuhr wagemutig und schon in der fahrschule gerne zu schnell. ihr erster wagen, die knallgelbe ente, stand wochen im garten, bis die mutter den führerschein hatte. am abend saß sie im auto und übte die knüppelschaltung bedienen.

die ente war aufruhr und statement. aufgeklapptes verdeck, auf dem beifahrersitz bäume, die oben herauswehten oder tess' kumpel gerri, der sich auf den sitz stellte und majestätisch den fußgängern zuwinkte. sie lachten sich kaputt hinterher.
selbst der hund war auf das charakteristische motorengeräusch geeicht. brummte das gelbe getüm die einfahrt entlang, sauste er aus dem korb und stand wedelnd an der tür, bis die mutter im blaumann nach druckerschwärze und zigaretten riechend, hereinkam.

die ente war so klapprig und zugig, dass sie wenig nach auto roch. das ganze jahr über streuselte sie aus den lüftungsklappen im fond birkensamen auf jeden, der den fehler beging, die klappen zu drehen. sie war transportmittel und lastkarre; ächzte unter von abrisshäusern geklauten fensterstürzen aus sandstein, mit denen die mutter gartentreppen baute. sie liebten dieses auto, das selbst mit zerstörtem auspuff, wie ein traktor röhrend, noch fuhr, eine kaputte tür mit einer riesigen hellblauen schleife festgebunden.
als die reparaturen zu teuer werden drohten und die schäden zu häufig, hatte die mutter genug gespart für den kleinen schicken toyota.

dem 6 monate später der stinkende polo folgte.

tess schüttelt den kopf, versucht mit husten den geruch und geschmack von plastikstinkendem wageninnern, abgasen und nikotin loszuwerden, der hartnäckig wie schmieröl an ihrer erinnerung klebt.

der typ draussen am fiat sieht gleichgültig zu ihrem fenster, zieht seine shorts hoch und läuft die straße hinunter zur bäckerei.
 
 
25.2.2023



2 Kommentare:

  1. Kopfkino hoch drei liebe Eva wie du die gesamte Szenerie beschreibst!!!!
    ich rieche, sehe spüre die Emotionen und Empfindungen die so deutlich wie ein wares Potpouri von Bildern an mir vorbeiströmen..
    irre schön trotz der stikenden Hässlichkeiten die sich ein Loch in deine Erinnerungen brennt und brannte sonst könntest du so nicht darüber schreiben..
    meine Bewunderung für deinen phantastisch bildstarken schreibstil...
    ic finde ihn toll, selten hier zu finden, das gäbe sogar einen Dokumentarfilm...zur Berlinale.._)
    herzlichst angel und danke für den Kommentar bei mir..

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    1. Danke Angel! Heute riechen Autos ganz anders innen... viele Gruesse zu dir. Eva

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Wie war das - für Blogger sind Kommentare wie der Applaus im Theater - na denn, tut Euch keinen Zwang an! Ihr dürft pfeifen, trommeln, klatschen.... mit Euren Kommentaren isses hier nicht so einsam. Danke!
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