Das liebe
Fräulein Read On mit seinen Gedanken, wie ein Monat wohl gerochen hat, sei gegrüßt!
Der November riecht nach einem kühlen Theaterraum, in dem drei Puppen- und Objekttheaterperformer im Wettstreit Funken schlagen. Nach der Kür riecht es nach erhitztem Publikum, das die Fliegen von den Wänden klatscht.
Tage später riecht es in dem immer etwas zu kühlen Theater nach Spannung, nach Schmerz und Missbrauch, nach Zorn, Verschlagenheit, nach Rache, Verlorenheit, Tod.
Nach der Vorstellung trinken wir mit der Künstlerin und ihren Musikerinnen Rotwein, bewundern die Puppen, es riecht nach der Schminke, mit der die drei ihre Gesichter weiss und grau färben, nach Pappmaschee, Stoff und Papier und der funkelnden Energie der grandiosen Ilka Schönbein.
Der November duftet nach Quitten, als Mus oder Quitten köchelnd in Wein, mit Zimt, Cardamon und Vanille. Der November säuselsäuert nach letztem frisch angesetzten Essigen mit Gartenkräutern und sauren Versuchen mit Quitten. Auch ein Glas mit Quitten und Gin steht da, ich werde berichten....
Der November riecht nach verheissungsvollem Regen, der allerdings nur die Wege netzt und Tröpfchen auf die Leine hängt.
Er müffelt fauligweich nach Laub, das raschelnd bis klebrig an den Wegen knüllt.
Nach Geburtstagskuchen riecht der November und knisterndem Geschenkpapier, aus dem das Tochterkind liebevolle Dinge holt und meine Erinnerung steigt kurz treppab zum Krankenhausgeruch vor so vielen Jahren und dem kleinen Wurm, das am Fäustchen saugend zwischen uns lag.
Nach der Wärme eines großen Kirchenschiffs, gefüllt mit vielen Menschen, MusikerInnen und Zuhörenden, riecht der November und die Musiken von Bernstein, Eisler und Brahms durchbrausen Ohren und Herzen. Akkordeone, Pauken und Harfen, viel Blech und köstliche Streicher, ein großer Chor. Nach Schrecken - eine Choristin wird im letzten Satz Bernsteins ohnmächtig und fällt rumpelnd zu Boden - erstarrt das Publikum und nach einer langen harrenden bangenden Weile erst ein Wort des Dirigenten, "ihr geht es gut, sie ist bei sich, es ist nichts passiert", löst die Hände, wir klatschen Dank an die Musik und den Herrn, in dessen Haus sie klingt und der unter das singende Menschenkind einen Flügel hielt, dass es nicht schlimm stürzte und das Aufatmen und Danken ist kollektiv.
Nach bitterem Erbrochenem stinkt der November, nach Krankheit und dem heissen Gummi der magenberuhigenden Bettflasche, die den Schüttelfrost besiegen hilft.
Nach Kleister und Papier riecht der November wenn acht Frauen mit meinen nicht immer klaren Anleitungen (danke Euch für alle Geduld und Rückfragen, ich lerne!) ganz einzigartige Buttonholebooks binden.
Mit erhitzten Gemütern und fluchendem Gefummel, mit erfreutem Achwieschön und lachendem Jetzthabichsverstanden vergehen vier Stunden und sind wir nachher stolz wie Bolle. Die Buchhandlung riecht immer ein bisschen nach Schule ,wenn die Stunden vorüber sind....
Viel, sehr viel Arbeit schleppt der November heran, wie jedes Jahr, und die Arbeitstage riechen nach Hunger und Unmut, ziehen Müdigkeit zäh durch die Wochen und knurrende Hektik. "Alles muss bis Fristablauf 30ten raus sein", wir zerren Überstunden und der Chef macht sich rar. Wenn er auftaucht, müffelt er nach Schlaf oder Küche, er arbeitet antizyklisch zu uns, was suboptimal Reibung erzeugt.
Nach mürben Äpfeln duftet der November, Pampelmusen, deren Haut Öle verspritzt beim Schälen und die ich sorgsam filetiert geniesse, nach Mandarinenschalen auf der Heizung und nach feuchten Schaf (zwei Tage mit fisseligem Nieselregen in meiner wollenen Eisbärenjacke).
Ja, so riecht der November und nach gewiss noch viel mehr, fragt man die Hunde, die an den Ecken Zeitung lesen.
Mit letzten Rosenblüten haucht er auch und duftet bitter nach Rainfarn, dessen Sonnen mir leuchten.