Nebelgeniesel,
7. November, 5 Grad, die Wege sind blätterfallgolden, wo sie noch
nicht Matsch sind. Ich berechne jeden Morgen den Bremsweg neu, um
nicht mit dem Rad auf die Schnauze zu fliegen. Die Rabenkrähen auf den Mobilfunkantennen quasseln und kakeln und fliegen Bäumchen wechsel Dich.
Die
Bettlerin vor dem Supermarkt hat sich in sich gekauert, buchstäblich
zusammengefaltet auf ihre Tasche gesetzt. In der Schale vor sich ein
paar Münzen.
Hast
Du ein Dach über dem Kopf, eine Dusche, ein Bett? Dein Haar glänzt
gewaschen, Deine Augen sind stumpf. Ich versteh Deine Sprache nicht,
überlasse Dir Münzen.
Wir treiben wir treiben
Aufstehn,
Frühstück oder auch nicht, je nach Laune und Magen, Kaffee, Zigarette
oder lieber ein Smoothie? Mein Schwager schmiert Stullen mit Nutella,
um sie im Auto auf dem Weg zur Arbeit zu mampfen. Ich klappe zwei
Scheiben zusammen, brummt er. Nee Papa, ruft hell seine Tochter. Vier.
Du klappst vier zusammen. Joo, stimmt, es sind vier. Aber Toastbrot
zählt nicht.
Wir taumeln wir treiben
Hier
hat mal Eine von Euch in einem Text die Frage gestellt: Bin ich jetzt
erwachsen? Fühlt sich so erwachsen sein an? Und es klang nach: Geht
das jetzt immer so weiter?
Eine
Freundin hat einen Fehler gemacht. Einen Fehler aus Trauer und Liebe.
Einen Fehler, der sie nun, 3 Jahre später, 140.000 Euro ans Finanzamt kosten soll. Ein Betrag, den sie bis an ihr Lebensende niemals zahlen wird können.
und was jetzt? Privatinsolvenz? Mit Mitte 50?
Ein
Bekannter aus alten Tagen, der mir - zur Freude der Kinder anarchisch
und wild - manchmal auf die Kinder aufgepasst hat, ist aus dem
Thaddäusheim in eine ObdachlosenWG gezogen. Glück gehabt, denke ich,
besser als Parkbank. Eine insolvenzbedrohte Freundin nimmt ihm maßlos übel, dass er nicht weiterkämpft für eine eigene Wohnung, für einen Job.
Wie
nah wir dem Absturz sind, wie wenig uns trennt vor dem Ende. Dem
Ende der eig'nen Beziehung, dem Ende des Mietvertrags, des Jobs, des
Vertrauens, dem Gesundsein, dem Ende der Liebe des Lebens.
Wir treiben wir taumeln
Dieser Sommer hat es gut gemeint mit uns dieses Jahr, mit dieser
Stadt, nur wenige Tropennächte, kein Erdrutsch in Finthen, keine
Überflutung am Rhein, kein tagelang endloser Regen. Und wir vergessen.
Richten uns ein. Und vergessen die Anderen, die es tagtäglich trifft,
die uns stündlich, minütlich in unsere strahlenden Rechtecke gespült
werden, vergessen, dass sie echt sind, ihr Leben auf der Kippe steht,
hungrig, zerbombt oder weggespült, amputiert, heimatlos, Ernte zerstört
wisch L'Oreal beutet Brasiliens Carnaubawachsbauern aus wisch eine Katze
reitet auf einer Schildkröte wisch die nicht-to-do-liste für den Monat
November im Garten wisch Sudan oder Gaza zerbombte zerstörte Städte
von oben wisch New York hat den ersten muslimischen Bügermeister
wisch Fritze Merz passt nicht in mein Stadtbild wisch sieben
Meerschweinchen auf einer Rutschbahn
Wir trudeln wir treiben
tun
alle Tage das Gleiche, dazwischen ein Fest, ein Besuch, noch ein
Urlaub, kleinere Katastrophen, aber Hey, alles geht vorbei, Die Zeit heilt alle Wunden, Es ist ja nur Geld, Meine Frau wird befördert, der Kleine ist besser geworden in Mathe, der Kollege noch immer ein egoistischer Arsch
wir trudeln wir treiben
Wird uns schon nicht treffen, Augen zu und durch, Wird schon nicht so schlimm, Warmzeiten hat es schon immer gegeben, Der E SUV wird erst im Januar geliefert, wir bauen uns jetzt eine Wärmepumpe ein und ihr?
Wir haben eine Mieterhöhung bekommen und mit der Rente, dem Job und ohne den Zuschuss der Schwiegermutter können wir sie nicht mehr zahlen. Meine Schwester hat Krebs und ein Freund liegt im Sterben.
Die Bettlerin vor dem Supermarkt hat sich in sich gekauert,
buchstäblich zusammengefaltet auf ihre Tasche gesetzt. In der Schale
vor sich ein paar Münzen.
Hast Du ein Dach über dem Kopf, eine Dusche, ein Bett? Dein Haar glänzt
gewaschen, Deine Augen sind stumpf. Ich versteh Deine Sprache nicht.
Was
würde geschehn, wenn ich sage, komm, lass uns essen, ich lade dich
ein, Suppe, geröstetes Brot, etwas Warmes im Bauch, ums Teeglas die
Hände.
Wir erzähl'n uns Geschichten. Sie müssen nicht wahr sein.
7.-9.11.2025
Gelesen beim Open Stage Altstadtgeflüster im November.
copyright definitiv und einzig bei mir!
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Wie war das - für Blogger sind Kommentare wie der Applaus im Theater - na denn, tut Euch keinen Zwang an! Ihr dürft pfeifen, trommeln, klatschen.... mit Euren Kommentaren isses hier nicht so einsam. Danke!
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