Donnerstag, 30. Dezember 2021

Absprung

Sie sitzt auf der Fensterbank im dritten Stock, vor ihr der Baum. Sie sagt "wenn ich jetzt springe, werde ich nicht fliegen." Er sagt "mach das Fenster zu, es wird kalt".

Sie springt, landet im Baum mit dem Rucksack auf. 

Unter dem Baum versammeln sich Menschen. Er schaut aus dem Fenster, sieht ihr zu.

Sie ruft "lila Klamotten!" , von unten ruft ein Mann "schwarze Klamotten!".

Sie lässt den Rucksack auf den Mann fallen. Der fällt um und ist tot. Ist ein großer schwarzer Fettfleck. Aus dem Rucksack kullern Carokaffeedosen. Sie klettert vom Baum, nimmt die Dosen in die Hand, sieht nach oben zu ihm und schreit "Du Idiot!"

Die Rechtsanwälte aus dem Erdgeschoss kommen nach draussen. Ein langer dürrer und ein kleiner mit grauen Locken.  Sie haben Schönfelder* dabei.

"Frau Kollegin, lassen Sie uns sehen, wer der Stärkere ist". Sie geben ihr einen Schönfelder und der lange dürre nimmt einen. Beide nehmen Aufstellung und zielen mit den Büchern. Die Leute feuern sie an. Er schreit von oben: "Hör auf! Lass das sein! Pass auf, der ist größer und stärker!"

Sie zielt und trifft. Der Kopf des Anwalts fällt ab und rollt über die Straße. Der Mann gestikuliert und läuft weiter. Er rennt vom dritten Stock auf die Straße und schreit:"Wo ist ein Arzt? Wo ist ein Arzt?" Aus dem Schornstein guckt ein Student und erklärt Medizin zu studieren. "Ich komme gleich runter, aber erst räuchere ich meine Ente fertig." Ein Mädchen aus der Anwaltskanzlei schwenkt den Kopf ihres Chef, den sie mit zwei Fingern in der Nase trägt - "wie eine Bowlingkugel" kichert sie. 

Der Medizinstudent nimmt ihr den Kopf ab, sucht den Hals am Körper und erklärt, hier nicht helfen zu können. "Der hat kein Schraubgewinde, da kann ich nichts machen. Da müssen sie ins Krankenhaus."

Sie leihen einen Kinderwagen, setzen den Anwalt hinein, seinen Kopf in den Schoß und ziehen zur Klinik. Mindestens 60 Leute folgen dem Wagen. 

Im Krankenhaus wird der Kopf angedübelt. Der Anwalt bedankt sich und geht. 

Sie kommt mit einem Bus um die Ecke, lässt die Türen aufgehen "Einsteigen bitte! Alle Sechzig mit Anwalt, Kinderwagen und Rucksack!"

Sie fährt beängstigend mutig. "Du hast keinen Führerschein" sagt er, "wie fährst Du den Bus?"

Sie lacht diabolisch, "der hier fährt auf Knopfdruck, es ist gar kein Problem" und klebt während der Fahrt Anarcho-Aufkleber überall, wo ihre Arme hinreichen. An Haltestellen fährt sie vorüber. Vor der Christuskirche stellt sie den Bus quer, blockiert die vier Fahrspuren der Straße und lässt alle aussteigen.


ENDE


Diese irre shortstory habe ich irgendwann zwischen 1992 und 1999 geschrieben und heute beim Räumen gefunden. Sie ist entstanden aus einem wirren Traum, den ich nach dem Aufwachen fortschrieb. Ich habe sie hier absichtlich so raw und unbearbeitet gelassen. 

 

*Schönfelder: Deutsche Gesetzestexte als Loseblattsammlung, heisst heute Habersack, ein dickes rotes Buch, wiegt 2455 g, Juristen-Grundausstattung.



2 Kommentare:

  1. Grrr, gruselig, surreal, aber auch irgendwie witzig! Wie du nur auf so was alles kommen kannst!? Wie gut, dass ich nicht träume!
    Liebe Grüße am vorletzten Tag des Jahres - Ulrike

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  2. in dieser Zeit des UMbruchs - und zu der zeit als du dies träumtest wusste man all das noch nicht, nicht, - dass er kommt und uns alle verstört...
    passt dein Traum in die jetztige heutige Zeit als hätt man eine Faust über beide Augen geknallt...
    stark...!
    findet angel

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Wie war das - für Blogger sind Kommentare wie der Applaus im Theater - na denn, tut Euch keinen Zwang an! Ihr dürft pfeifen, trommeln, klatschen.... mit Euren Kommentaren isses hier nicht so einsam. Danke!
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