Sonntag, 1. September 2019

Ich habe eine Freundin verloren

Ich habe eine Freundin verloren.
Nein, kein Beileid bitte, sie ist nicht gestorben, ich habe sie einfach verloren. Durch meine eigene Schuld.

Es war eine aufstrebende junge Künstlerin, voller Leben und Lachen, wir lernten uns kennen, schrieben uns, trafen uns, redeten über Gott und die Welt, Familie, das Leben, Ehemänner, Schmerzen, Verlust, Kinder, Erziehung, wer wir sind, wo wir stehn, über sterbende Eltern, über Krankheit, Berufe, Veränderungen im Leben. Über unsere Leben. 

Mit den Jahren wurde die Künstlerin blasser, ihr Brotberuf trat in den Vordergrund. Leben ist Veränderung. Menschen auch. Und manchmal driftet man auseinander, ohne dem Gespür dafür Raum zu geben, es zu benennen, ihm eine Chance zu geben, es zu bannen. Man treibt einfach weiter. Verstummt.
Ich bin verstummt.
Es begann schleichend, vor Monaten schon, denke ich. Manchmal das Gefühl, ich mag gar nicht schreiben oder nicht zurückschreiben müssen. Das Gefühl, trotz Lustlosigkeit verpflichtet zu sein, lähmte mich. 

Mein inneres Verstummen betraf nicht nur die Freundin. Betraf Vieles und Viele. Kreativität, die auf der Strecke blieb, Müdigkeit, bekämpft mit Konsum von social media wie soap operas. Bücher lesen als bingereading.
Hohl, ohne dass etwas bleibt. Betäubend. Gelangweilt.
Müdigkeit, mich mitzuteilen wie teilzuhaben.
Es schlich sich Nachlässigkeit ein, Unhöflichkeit, wurde ich unachtsam, unaufmerksam, überdrüssig und müde.

Die Krankheit meines Mannes beherrscht unser Leben seit Jahren. 

Jedes wieder aufflackern, jeder neue Schub macht es schwer, verschiebt den Fokus auf diese Krankeit, bringt uns in einen Tunnelblick.
Wie geht es Dir heute? Wie war die Nacht?
Wann lässt Du Dich endlich krank schreiben? Was sagen die Ärzte? Was das Labor? Gehst Du ins Krankenhaus oder doch noch nicht?
Die Angst, weil die Abstände kürzer werden, macht den Tunnel schnell enger. 2017 acht oder neun kleine Schübe, die ihn sehr schwächten, Februar 2018 ein Krankenhausaufenthalt und Monate später erst war wieder die Kraft eines gesunden Mannes zurück. Mai 2019 ging es schon wieder los. Die Schlinge zog sich schnell zu.
In diese Zeit fiel meine Müdigkeit, die Angst, was wird, wenn es schlimmer wird, schleppte sich durch die Monate, hält nach wie vor an.
Vor ein paar Wochen ein Krankenhausaufenthalt, weil der Blutverlust heftig war, Blutkonserven, Kortison, Intensivstation. Immer wieder und öfter die Frage wie geht es weiter? Wird er wieder gesund? Und wenn ja bitte wann und wie lange diesmal?
Familienleben bleibt auf der Strecke, Eheleben ohnehin, die Krankheit fesselt ihn ans Haus, unberechenbar. Gemeinsamer Urlaub im Sommer? Vergiss es.
Wie geht das weiter? In diesem, im nächsten, in 5 oder 10 Jahren? Bleibt er so geschwächt, bleich und kraftlos? Wo bleibt ein Wir? Wie werden wir als WIR weiterleben?
Die eigenen Kräfte gehn auch aus.

Die Freundin verliert ihre Mutter. Schmerzen und Schwäche, Sorgen, schliesslich der Tod. Kopflos wie ich bin, übertrete ich Grenzen, trample auf ihren Gefühlen herum und merke den eigenen Schmerz nicht, lenke mich ab mit großspurigem Ichweissallesbessergerede und mache alles nur schlimmer. Der Tod meiner eigenen Mutter, die ambivalenten Gefühle aus meiner schwierigen Mutter-Tochter Beziehung schwimmen auf, verstellen meine Wahrnehmung, triggern, ich schlage innerlich um mich, treffe nach aussen die Freundin. Wir versuchen die Risse zu kitten. Ich danke ihr. Sie ist mir wichtig.

Ein paar Tage später fliegt sie. Ihre große Reise, Begegnungen in den USA mit Orten und Menschen aus ihrer Collegezeit, lasse ich bei ihrer Rückkehr unkommentiert - da ist sie wieder, meine Unaufmerksamkeit, die sie so verletzt. Habe ich nichts gelernt aus unserem letzten Gespräch? Nichts verstanden? 

Eine Freundschaft trägt durch die düsteren Zeiten nur, wenn man sie trotzdem pflegt. Auch wenn es schwer fällt.
Ich stecke in meinem Kokon und nehme alles am Rande wahr. Egozentriert. Die Anderen sind eine soap opera. Nichts berührt mich - weil mich da, wo ich stehe, schon zu viel berührt? Ich versuche auf mich acht zu geben. Gehe tanzen. Mache Überstunden. Bin nach aussen aktiv und gutgelaunt. Spaßkasper eben. Weine im Garten. Gehe zum Arzt, weil die Brust schmerzt.
Draussen, die Andern, sind wie hinter Glas. Mir kommt alles banal vor. 

Meine Unfähigkeit mich verständlich zu machen. Ich verstumme.
In meinem Wattekokon bleibt der Rest aussen vor, ziehe ich mich aus Kommunikationen zurück, social media schleift, real life geht auf Sparflamme. Nachrichten schalte ich aus. Was soll ich mich befassen mit Dingen, die ich nicht ändern kann, wenn hier im kleinsten Kreis, im allerkleinsten, des Ich und Du, die Krankheit uns von Tag zu Tag leben lässt, Achterbahn, drei Schritte vor, vier zurück.

So habe ich meine Freundin verloren.

Es ist traurig und dennoch, ich danke ihr. Sie ist ehrlicher gewesen als ich. "Ich habe keine Lust mehr zu schreiben" schreibt sie. Ich schon lange nicht mehr.
Wo sind wir geblieben?
Auf der Strecke geblieben. In diesem Leben. Das uns auseinandergeführt hat. 
Ich bin traurig und dennoch bin ich erleichtert. Ich muss keine Aufmerksamkeit aufbringen, wo ich keine aufbringen kann. Ich bin müde.
Danke, liebe U. für Deine Freundschaft.
Danke. Leb wohl.

10 Kommentare:

  1. Ich habe schon ganz lange keine so ehrlichen Text gelesen. Sei nicht zu streng mit dir. Wir kennen das alle - aber kaum jemand schreibt es auf, weil kaum jemand zu sich selbst so erhlich ist sich seine Unzulänglichkeiten einzugestehen. Fühl dich virtuell mal gedrückt!

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  2. Sei nicht zu sicher, dass du die Freundschaft verloren hast. Sie mag sich nur 'zur Ruhe' gesetzt haben, bis ihr beide wieder freie, kreative Energie füreinander habt. Dein Dank für das Bisherige ist offen - und ehrlich.
    Geteilte Gedanken vom anderen Rheinufer.
    Elvira

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  3. Da hast du was in Worte gefasst, was in vielen Teilen mir auch gerade passiert ( ohne dass es um eine konkrete Freundin geht ). Ich nehme es jetzt erst einmal so hin, andere regt es auf und wollen mir etwas einreden, was ich nicht so empfinde. Bleib bei dir.
    Herzlich
    Astrid

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  4. manchmal sind solche trennungen das beste, was man tun kann. ich habe letztes jahr auch zwei davon vollzogen, weil ich mich schützen musste.
    liebe grüße und deinem mann (und damit auch dir) baldige besserung!!
    mano

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  5. Ich danke Euch allen. In der Zwischenzeit ist der fette Abkracher auch bei mir eingebrochen und ich bin aus dem Verkehr gezogen.

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  6. Du bist eine Frau der Worte und ich eher der Bilder.Wenn man es aber schon so formulieren kann, ist man schon weit n der eigenen Wahrnehmung, alles hat seine Zeit und alle Zeit verändert.die leensistuationen eines jeden werden irgendwie komplexer mit den Jahren, aber gleichzeitige ist man auch in der lage die Situationen komplexer zu erfassen emotional.Dinge, die man vor 20 Jahren so gar nicht wahrgenommen hätte, so empfinde ich es.Man kann Freundschaften nur erhalten,wenn das Lebenslevel annähernd ähnlich ist, driftest es zu weit auseinandner, wird es unsagbar schwer sie aufrecht zu erhalten.Man kann aber neue Freundschaften finden, die in ähnlchen situationen dem Leben begegnen.
    viele Grüße und alles Gute, karen

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  7. Liebe Eva, manchmal ist so eine Trennung nötig... um sich selbst wiederzufinden...das Schöne ist es gibt immer wieder eine Möglichkeit dem Anderen die Hand zu reichen, wenn du es möchtest.
    Alles Gute für dich!
    Herzliche Grüße
    Sabine

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  8. Ach Eva, das geht mir total unter die Haut, berührt mich sehr, kratzt an mir, weil ich Ähnliches erlebt habe. Zwar schon sehr lange her, doch noch immer lässt es mich nicht los...du rüttelst wieder wach!
    Alles Liebe - Ulrike

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  9. Liebe Eva, da bist Du sehr mutig, dass Du das so aufschreibst. Sauber auseinandernimmst und Dir klärst und uns erklärst. Erzählst. Danke. Auch mir geht das sehr unter die Haut. Sehr herzlich, Elvira

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Wie war das - für Blogger sind Kommentare wie der Applaus im Theater - na denn, tut Euch keinen Zwang an! Ihr dürft pfeifen, trommeln, klatschen.... mit Euren Kommentaren isses hier nicht so einsam. Danke!
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