Sonntag, 22. September 2024

Die Vögel und immer wieder die Vögel

Während ich  schreibe, blechtippeln gegenüber die  Tauben im Sonnenlicht auf dem Rand der höchsten Regenrinne. 


Ausflug nach Neuwied, die Heimat des Mannes besuchen. Wir gehen lange am Ufer entlang,  bis zur Wiedmündung und  über schattenfeuchte Wiesen  zurück.  Am Ufer  eine kleine Herde Enten, ein, zwei Nilgänse dabei und eine Kanadagans in der Mauser, der ein  paar fleddrige Flügelfedern bizarr aus dem Gefieder herausstehen. 


Im  Zug fahren wir in einen  sinkenden  Abend.  Herrlicher  Himmel.  Das  Samtrot  des Sonnennuntergangs streift noch feuriges Gelb, das sich nach oben über orange-apricot-mintgrün zu türkis und  petrol in der sich verdunkelnden Kuppel verwandelt.  Im brennenden Orange zieht ein großer flacher Keil  Zugvögel.


Neulich am Morgen betrete ich den Hof,  als vor mir ein Wanderfalke  abhebt. Er hat eine Taube in den Krallen, hält den Schwanz  schwer navigierend  hart nach unten. Ich sehe jeden Tüpfel jedes Muster auf den schönen Federn. Mit seiner Beute saß er auf einem Stapel auf dem Tisch liegenden Kissen  und ich störte sein Frühstück. Nun muss er den kurzen Weg über Hof und Hintergärtchen mit der Taube schaffen, genug Flughöhe zu gewinnen. Ich bin betört.  Einer der  Falken  der nahegelegenen Kirche vermutlich. Sie nisten  seit Jahren dort, der Küster passt auf.  Auf den Kissen ein paar gerupfte Federn und Flecke frischen Blutes. 


Morgens auf dem Radelweg am Fluss entlang Flugverkehr über mir.  Von Osten fliegt ein kreischender Trupp Halsbandsittiche  Richtung  Stadt, in  die andere Richtung wenige Meter tiefer zwei Rabenkrähen, weniger gesprächig. Krk. Im Wasser Kormorane auf  Jagd,  Schwäne schaukeln herum. Auf den Ufertreppen dösen Tauben in der Sonne,  dazwischen  die eine oder  andre schmal aufgerichtet aufmerksame Jungmöwe mit schwarzen Beinen und Käppchen, bereit, jederzeit aufzufliegen. Oben segeln die großen Geschwister über dem Fluß. 

Nachmittags fallen auf die unkrautbewachsenen Schultern der Erdhaufen Distelfinken ein, Säämchen sammelnd und knuspernd, Sperlinge auch.  Über den Weg knickst eine Bachstelze.  


Vor ein  paar Wochen kobolzt die letzte Brut Blaumeisen durch den Hof. Fünf Winzlinge  purzeln durch die Heckenrose, die sich über zwei Höfe spannt, sammeln sich auf meinem  Blumentisch, schaukeln an Pflanzen und Stöckchen. Jeden Nachmittag tropfen sie wie bunte  Federbällchen in das wilde Rosengeheck, turnen, piepen, klettern, fliegen tiefer bis in die Pflanzen, den Tisch und zum Vogelbad.  Eines beginnt mit Trinken  und Plätschern,  das Zweite hüpft mit herein, ein Drittes bleibt zweifelnd auf dem Rand sitzen, trinkt nur. Vier und Fünf hampeln lieber durch die Blumentöpfe, landen schwerelos elegant seitwärts an Stöckchen und Stangen. Ich liebe dieses Gekasper und Gewusel! Ein herrlicher wildgewordener Meisenkindergarten!


Vor und nach Sonnenuntergang das Gekakel, Lärmen und Schwatzen der Krähen.  Sie gurren, grunzen, krächzen, quietschen, schnattern, fiepen, grollen.  Ich stelle mir vor sie erzählen den Tag, sortieren Schlafplätze und diskutieren die Zugrouten.  Am Morgen wache ich mit einem  Lächeln von ihrem Gequassel auf und sehe ihnen am Abend zu, wie sie in großen Trupps durch den weit über uns noch abendhellen  Himmel zu  ihren Schlafbäumen fliegen.  Unten bei uns sind die Bäume schon scherenschnittschwarz und die Fledermaus jagt. 


Zwischen Wachen und Schlaf begegnet mir ein alter Kindertraum. Ich gehe die Straße entlang und gleite mühelos in die Luft. Die Beine nach hinten, Arme am Köper liege ich waagrecht  und fliege meinen Weg. Nicht sonderlich hoch, aber eben nicht mehr dem Boden verhaftet. Auch in geschlossenen Räumen. Der Spaß unter der Decke zu  kreisen und nicht gesehen zu werden.  Denn wer hebt schon den Kopf? Im Michwiederhineinträumen das vergessene  kribbelnde Gefühl in  Füßen und  Bauch. Ich  kann  fliegen!  

Und ihr?


Mittwoch, 24. April 2024

dancefloor

 Mittwochnachmittag im Büro. Ei.gent.lich hätten wir seit einer Stunde Schluß. 

Es klingelt. Seufz. "Oh nee, es ist noch so viel…Wer kommt denn jetzt?" Frau R. Frau R ist immer eine Herzensfreude. Vom Leben gebeutelt, mit unerschütterlicher Kraft für sich und den Lebensgefährten, der nach zwei Schlaganfällen etwas langsam ist, aber beide machen immer irgendwie weiter. Sprechen sich Mut zu. Stützen sich. Liebevoll. Nehmen die nächste Hürde, den nächsten Nackenschlag. Bleiben beisammen. Heute ist sie alleine.  "Herr Jo ist zuhause. Kocht. Portugiesisch!" sagt sie.

"Manchmal muss man raus, Luft holen, bewegen",  sagt sie, schnauft tief und wedelt mit den Armen. Sie setzt sich und erzählt vom Umzug in die neue Wohnung, so viel enger als die vorherige, aber  dort lebten sie im Schimmel, über zwei Jahre lang, die Vermietergesellschaft hat sie immer nur vertröstet "und Jo, mit den Schlaganfällen, nein man ist ja krank in dem Schimmel ». 

Nebenbei gebe ich ihre neue Anschrift in die Datenbank ein, damit ist eigentlich alles erledigt. Sie erzählt vom Umzug mit Müllsäcken, weil Kartons so viel kosten, werden nur einmal gebraucht, dann stehen sie herum. Erzählt vom defekten Kühlschrank, das Gefriergut taute auf und sie mussten ganz schnell ihre Vorräte aufessen. "Alles, was wir eingekauft und gefroren hatten, als es Sonderangebote gab!"  Sie erzählt noch viel mehr, sie packt es in Witze ein, aber im Grund ist es tragisch und schwer.  Und ein großer Batzen der Schwere ist der jahrzehntelange Rassismus, das schlechter behandelt werden, das als Letzte drankommen, das keinen Streit anfangen,  nicht aufs eigene Recht pochen, weil man so ausgeliefert ist, der Vermietergesellschaft,  dem Arbeits- und Bürgeramt, der Kasse. Ein alter kranker portugiesischer Gastarbeiter mit brüchigem Deutsch und seine Schwarze Lebensgefährtin. 

Plötzlich, ich weiss nicht mehr, wie sie draufkomt, sagt sie, "ich hör so gerne Musik.  So alte deutsche Musik. Und dann tanze ich. 99 Luftballons, Text kann ich nicht, aber tanzen."  Sie steht zwischen uns, rollt Arme und Hüften, lacht, singt. "Tanzen ist so schön" Eine kleine afrobritische Frau mit einem entzückenden Akzent, sie wiegt sich und tanzt, wir fallen ein. Meine liebste Kollegin rotiert Arme und Schultern, "das hab  ich von Frau B (was ich bin) gelernt", ich muss lachen und mache mit. "Oh" sagt Frau. R kichernd,  "das ist gut" und macht mit. Drei garnichtmehr junge Frauen im Büro, lachen sich an, tanzen, lassen die Hüften schwingen, die Arme schlenkern, die Augen rollen.

Wir begleiten sie zur Tür. "Viele Grüße an Herrn Jo, alles Gute." Noch ein Lachen, ein Danke, ein Winken.  Die Schwere, die Traurigkeit, das Alter, die aussichtslosen Mühen gegen rücksichtslose Vermieter, lahme Behörden, gesundheitliche Probleme sehe ich an ihren Schultern, ihrem Rücken, der müde runtersackt, als sie vor mir die Treppe herabgeht, die kleine danceflooreinlage vorbei ist. 

Samstag, 30. März 2024

Strich drunter

 Strich drunter. Jetzt. Jetzt bin ich da. 

                                  Jetzt.

                                  Alles was kommt, ist kürzer.

                                  Das macht nach-denklich

                                                    vor-fühlig

                                                    ab-wägend, abwiegend was war

                                                                       was

                                                                       kann noch kommen

                                                                       wo gehen wir hin

                                                                       und wieviel Leben

                                                                       bleibt noch.

Nausea

In manchen Nächten

sehne ich mir

Dunkelheit und Schweigen.

Wer zerschießt die Laterne,

bringt die Stadt zum Verstummen?

Schweigend im Dunkel

Im Rücken der Teppich kratzt.

Über mir ein Zelt, eine Kuppel aus zer-

stückelten Bildern, Alp-

Träumen, aufsteigend aus meinen Augäpfeln,

ein funkelndes, ein faulendes,

gaukelndes, tanzendes  Kaleidoskop vergangener Tage.


Nausea.

Freitag, 29. März 2024

Harte Zeiten

Die Stadt ist voll gehängt mit Werbeplakaten für eine Großspinnenausstellung. 

Harte Zeiten für Arachnophobiker. Auffahrunfälle an Ampelkreuzungen oder mit geschlossenen Augen in der Fußgängerzone Roller fahren. 

Nachts schwarze Farbe und Kabelbinderkneifzangenmassaker.

Das geplante Opferfeuer hinter dem Ende der Straßenbahngleise fällt aus. 

Niemand will die Plakate so nah am Körper hintragen. Wer weiss, ob sie nicht -

 

 Am nächsten Tag fahren wir Riesenrad. 

Demut

Bevor ich gehe stolzer Blick im Garten. Das werd' ich schaffen diesjahr. Noch sind Gras und Unkraut nicht zu hoch gewuchert. Habe ich Kraft und Energie und bin gesund.

Minuten später vor der Ampel auf dem Rad beim Anfahr'n ratscht die Kette und blockiert. Ich stehe ausgebremst so jäh und falle um.

Was war denn das jetzt?! Rutsche seufzend unter meinem Rad raus, roll mich auf die Seite, alle Viere, stehe auf, Leute um mich schnattern, helfen, sind besorgt und freundlich, holen mein Rad und mich und Rucksack von der Fahrbahn. Hat man Sie angefahren? Was ist den passiert? Brauchen Sie wen, der Sie abholen kommen soll? Brauchen Sie einen Krankenwagen? Ich stehe etwas blöde, schüttle unentwegt die linke Schulter, auf die ich plautzte (nicht schon wieder, denke ich) denke mich in den Schmerz, den Muskel, schüttle, hebe den Arm behutsam über Kopf, beweise dass es geht und nichts gebrochen, danke allen mit Blick in die besorgten Augen, blanke Gesichter, jung und sportlich, falte die Hände, verbeuge mich und danke. "Sie können fahren, mir geht es gut, danke, ich komme heim, ich habs nicht weit. Ich danke Ihnen sehr."

Laufe ein Stückchen, schüttle noch den Arm, besteige dann mein Rad, vorsichtig, machen alle mit?  Kette - Schulter- Arm - Handgelenk? Ja, gut, es geht. Schreck ebbt ab. Demut und Dank ans Universum, Schutzengel, Hände die mich stützten. 

Hochmut kommt vor dem Fall oder wie war das?

 

Mittwoch, 27. März 2024

Gesammeltes im März

Morgenroutinen wieder aufnehmen. Radfahren am Fluß, auf die Mole rollen. Halt. Strecken, dehnen, zählen, hopsen, einbeinig, drehen, Hüfte öffnen, Nacken, Schultern rollen, lockern.   Guten Morgen.

Unten der Fluß. An einem Nebeltag das Silberlicht. Kormorane tauchen.

An einem Nebeltag die Tröpfchen in der Jackenwolle. Das Grasbüschel hinterm Zaun auf der Molenkante hat feine Tropfen auf den nadeldünnen Halmen aufgefädelt. Lichtfangperlen. Miniregenbögen, sichtbar nur im Liegen....

Die Löwenzähne in der Mauerritze an der Kaiser53 blühen schon. Im Garten sind die Veilchen umgezogen ins Mausegrasgewühl am Wein. In Vorjahrsgilbgrasnestern Herzgeblätter und lilablauer Duft. Rotschwarze Insektenmuster tanken Sonne. Käferlein und Wanzen. Winterschlaftrunkne Hummelköniginnen brummbumseln taumelig an meinen Hals.

 Orangenminze wacht am Wurzelfaden auf, ins Beet genähte grünrotkrause Knospen. Der Duft! Der Duft! Besuch im Garten wie jedes Frühjahr Wundertüte. Was ist umgezogen, abgestorben, ausgetrieben, wer wurde abgefressen, umgeblasen, totgeregnet. Die Sittichbande kreischt herum wie immer.

 

LAUT

So wie der Vollmond

nachts

in meine Küche schreit

so knallt am Tag

die Sonne.

Zwischen-zwei-Wolkenbrüchen-grell 

gleißt sie über Hände und Geschirr.

Springt mir von der Messerklinge

ins Gesicht!

 

Am Ufer rüsten sich Schaustellerbuden für den Ostermarkt. Morgens fährt die Sonne Riesenrad. Ratternd werden Stapelzäune herundhin gefahren. Radler kurven zwischendurch zur Schule oder Arbeit. 

Nachts leuchten die Gondeln wenn sie kurz übers Dach der Stadtbibliothek kurven. 

Die Kastanie hat innerhalb drei Tagen alle babyknitterzarten Blatthändchen aufgefaltet.

Am Abend plötzlich aufgeregt Radau. Krähen toben, Elstern schimpfen und tschackern, Amseln melden Alarm. Hey, was ist los Leute?!  Ich kann es nicht herausfinden, aber es ist wirklich sehr lange Alarmgetöse aller Vögel, am lautesten die Krähen. Es sind viele und sie klingen zornig. Hat Euch wer die Nistbaume gefällt? Boah. Krawallo.

Mein Kind schreibt eine Arbeit für die Uni, was sich bis in die Nacht zieht, irgendwann halb erstickt halb heulend, "die Änderungen sind nicht gespeichert!"     Mal schaun, wann wir alle ins Bett kommen, der Drucker steht beim GöGa im Zimmer...

Im Wohnzimmer kühlt Brot ab, sein Rosmarinduft (das Möhrenbrot ist mit Rosmarin & Nigella bestreut) zieht durch die Räume, vermengt sich mit Kokos&Vanille - Mupfpins für das morgige Abschiedskaffeetrinken unserer Kolleginnenrunde, deren eine demnächst für länger weiter weg fliegt. 

Die Kriege gehen weiter, es verdienen Viele daran, wir können in Echtzeit zuschaun. 

Spenden Sie wenn Sie können an medico international, Ärzte ohne Grenzen. Gaza, Nigeria, Sudan, pushbacks an europäischen Grenzen, der Ausverkauf der Menschenrechte geht weiter.