Freitag, 13. Januar 2017

Vor meiner Tür


Es ist früh und noch dunkel. Durch die Nacht hat es geschneit und schneit immer noch. Ich gehe die Treppe runter, mache mich auf den Weg zur Arbeit. Die Eingangstür der Erdgeschosswohnung steht offen. Ich nehme die letzten zwei Stufen, die neben der Tür enden, vorsichtig, jeden Moment erwarte ich den Lütten krähend im Türrahmen hopsen - nein, er ist nicht zu sehen. Aber sein Vater kommt gelaufen, schwenkt eine grüne Plastikhenkelbütte vom Möbelschweden und geht mir mir vor die Haustür. Draussen steht ein krummschiefer kniehoher Schneemann. Der Vater stellt die Plastikbütte daneben und erklärt, wie er den Scheemann eben schnell nach dem Frühsport gemacht hat und dass der jetzt an den Frühstückstisch kommt. Sprichts, bückt sich und schaufelt mit beiden Händen das wacklige kalte Etwas in die grüne Henkelei. Ich denke an ein Frühstück mit schmelzendem Schneemann, der als trübe Brühe mit Schmodder und Blättern durch die grünen Henkel auf den Küchentisch fließt....

                                                                   * * *


Ich bin zeitig in der Firma. Mache alle Lampen an auf dem Weg rein, Flur, Büro eins, Büro zwei, ziehe den Mantel aus, schalte auf dem Rückweg von Büro zwei zu Büro eins alle Rechner ein, warte bis der olle Server hochfährt und mit bling verkündet hinterer Lüfter defekt, F1 drücken, drücke, der verbliebene Lüfter brummt sich wach, ich gehe den Flur zurück, hänge den Mantel auf. Biege ab zur Küche, Hand auf dem Lichtschalter.
Päng macht es leise und glasklar über mir, gucke dumm blind nach oben, ja was soll ich sehen, wenn's die Birnen ausschießt? Plötzlich ist es sehr still, in Büro eins und zwei dunkel, kein Server surrt mehr und die Küche bleibt beschissen dämmergrau. Zurück in den Flur, Sicherungskasten. Im Licht vom Treppenhaus probiere ich die Sicherungen durch, ah, es wird in Büro eins wieder hell. 

Es läutet. Früher Kunde. Herein, herein. Wir spielen mit den Sicherungen, Büro zwei wird hell, schalte den Server wieder ein, bis er brummt, dann geht mit leisem Flackern das Licht aus. Wir stehen wieder am Sicherungskasten. Server, Licht aus. Kein Server, Licht. Küche immer noch dunkel. Defekte Birnen in 3 m Höhe, keine Leiter im Haus. Telefoniere herum. Der Kunde flüchtet in sein hoffentlich hellerleuchtetes Auto, Arbeitsplatz, das nächste Cafe, was weiss ich. 

Der Hausmeister kommt und schleppt eine Leiter an. Schraubt die Birnen aus, ersetzt sie mit neuen. Wir schalten die Sicherung ein, es ist hell. Wie schön! 
Ich danke, er geht. Der Chef kommt. "Kannst Du Kaffee kochen, ich bin noch nicht wach." Er sieht verschwiemelt aus, lehnt am Tisch, erzählt mit halbgeschlossenen Augen wilde Geschichten, während ich Kaffe abmesse, Wasser einfülle, die Maschine einschalte. Während sie gurgelt und spotzt, bemerke ich mit halbem Ohr nebenher, wie es still wird in Büro eins. Der Server? denke ich kurz, höre den wilden Geschichten zu und wir warten auf die Maschine. Zwei Tassen. Kaffee. Milch. Biegen ab an unsere Schreibtische. Doch der Server. Knockout. Schalte ihn ein, woraufhin drüben das Licht ausgeht. "Hee!", ruft der Chef. Wir treffen uns vor'm Sicherungskasten und friemeln herum.

Okay. Nochmal der Server. Fährt hoch. Bling. F1 drücken. Er brummt. Geht. Licht ist auch an. Na also. Geht doch sagen wir Beide, als der Hausmeister an die Tür klopft. "Ja?" öffne ich, "was ist denn? " " Im Treppenhaus geht das Licht nicht mehr. " 


                                             * * *  

Meine Freundin Dinah sieht aus wie ein Mann. Ein kräftiger Mann mit einem breiten Kreuz, in einer blauen Jacke, abgeschabten Jeans und fetten Boots, Locken und einer Lücke zwischen den Schneidezähnen. Ich warte in einem Büchercafe auf sie. Als sie reinkommt, breit, lachend, groß, krabble ich aus dem viel zu tiefen Sessel und strecke mich in ihre Bärenumarmung. Sie setzt sich. Erzählt von Aufträgen, Schaufensterdekoration und einem alten Bus. Ihrem bescheuerten Exchef und urkomisch endenden Vorstellungsgesprächen bei potenziellen Arbeitgebern, denen das Gesicht runterfällt, wenn sie einen Kopf kleiner sind als die Frau, die da im Anzug zum Vorstellungsgespräch kommt. Erzählt von ihrer Frau, die, sehr viel kleiner und einiges leichter als sie, mit aller verfügbaren Kraft versucht hat, ihr in der vorigen Nacht das verschobene Beckengelenk einzurenken. Und wie der Arzt, den sie dann am Morgen doch noch aufsucht, körperlich in etwa gebaut wie sie selbst, sich an ihrem kräftigen Körper abarbeitet, bis sie eingerenkt ist und er stöhnt. Meine Freundin kann Häuser bauen, Bäume fällen und fluchen wie ein Bierkutscher. Als sie von ihren verstorbenen Großeltern erzählt und wie sie ihren Geistern in ihren eigenen Räumen begegnete, wird ihre Stimme weich, sie blickt nach innen und ihre sie immer umgebende Stärke erscheint mit einem Mal durchlässig, voller Zärtlichkeit. Sie forscht in meinem Blick, ob sie mir vertrauen kann und ich höre zu, halte diesen Moment leicht, aufmerksam, schwebend. Kostbar.  
Danke. 

6 Kommentare:

  1. Spannend, richtige Kurzgeschichten aus scheinbar Alltäglichem... schönes Wochenende und liebe Grüße, Sabine

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  2. ...schön erzählt, liebe Eva,
    die Geschichten, die das Leben so schreibt...

    hab einen guten Tag,
    liebe Grüße Birgitt

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  3. Ich liebe solche Miniaturen aus dem Alltag... Danke dafür. Lieben Gruß Ghislana

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  4. Liebe Eva, bitte weiter erzählen. Es geht nichts über die Geschichten aus dem echten Leben. Übrigens, grüß Deine Freundin von mir unbekannterweise, Gespräche mit ihr sind bestimmt nicht langweilig.
    LG
    Magdalena

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  5. Ein Geschenk sind deine Kurzgeschichten immer! Ich freu mich so, dich im letzten Jahr gefunden zu haben!
    ... und ja - Documenta wäre doch ein toller Anlass, aber ein Gästezimmer kann ich leider nicht bieten.
    Das Wort verschwiemelt kannte ich bisher noch gar nicht, bedeutet es so was wie verpennt?
    Liebe Grüße von Ulrike

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  6. Das Leben ist so unendlich bunt. Lachen. Weinen. Freude. Trauer. Inne halten. Danke Dir für die schönen, traurigen, berührenden Geschichten ♥ Auf das Leben und die Menschen die uns wichtig sind!

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Wie war das - für Blogger sind Kommentare wie der Applaus im Theater - na denn, tut Euch keinen Zwang an! Ihr dürft pfeifen, trommeln, klatschen.... mit Euren Kommentaren isses hier nicht so einsam. Danke!
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