Mittwoch, 16. Februar 2022

abschied

 

Die letzte Woche war Achterbahn und wird so weitergehn. 7.2. mit meinem Jüngsten spazierengehn und in einem rümpelig mit rostzerfressenen Sprungfederrahmen abgesperrten Grundstück blühen die Schneeglöckchen, dass es einem in den Ohren klingelt. Ich bin dankbar bis zum sentimentalen Herumheulen, dass sich meine Familie um mich kümmert. 

Alles schmeckt nach Verlust. Loslassen. Veränderung, ohne Idee wohin.

Noch wünschten wir uns gegen alle Informationen eine klitzekleine Hoffnung für den Mensch auf der Intensivstation.

 



11.2. Gute Reise. Vor zwei Tagen hast Du aufgegeben. Ich sehe ins Licht und wünsche Dir eine gute Reise auf die andere Seite. Noch bist Du uns allen sehr nah.








 

Danach sind meine Tage voll mit arbeiten, trösten, alles un-mögliche klären, organisieren, trösten, selber abkrachen, vollkommen erlegt nach Hause kommen (Trauerphasen sind scheiss anstrengend), Stullenreste essen, schlafen wie ausgeknockt, wieder aufstehen, kochen, mit Farbe herumpinseln. Nachrichten? Egal. Weltgeschehen? Pfft. War was? Mein Kopf ist voll genug.  

 


Eine liebe Freundin schenkt mit vier Wünsche. Liebe. Mut. Licht. Kraft. Damit spielen. Die drei wundersanften Ölpastellstifte von sennelier, die ich zum Geburtstag bekam, mitspielen lassen.



Morgen ist Verabschiedung. Angesichts des Wetters beschleicht mich leise Angst, ob Strassenbahn, Busse fahren, die Autobahn frei sein wird, ob wir nicht alle davonfliegen...


atempartitur für einen der geht 

(markmaking mit kiefernzweigen, tusche, perylenrot tief, gelb, Wut, Trauer, Fassungslosigkeit und immer wieder dem Unglauben, dass das, was passiert ist, mit unserer hochtechnisierten Medizin passieren konnte)

 

Während ich schreibe, jault sich das Orkanwetter hoch. Orgelt in unseren Altbauritzen. Zieht unter Türen durch, jodelt in WC-Oberlicht, das unschliessbar ist. Klappert. 

Wedelt der Wind alle Zweige so wild, dass alle verfügbaren Bewegungsmelder in den umliegenden Höfen und Hauseingängen auf Dauerflutlichbeleuchtung bleiben.  

Passt auf Euch auf.  Bitte.  Alle.

Sonntag, 6. Februar 2022

Heute ist mein Herz schwer

Dieser Monat, noch nicht mal eine Woche alt, ist an Mist kaum zu überbieten. Es hagelt von allen Seiten Unglück. Zwei Menschen mit Krebs, der eine hängt im Zwischenreich der Bewusstlosigkeit auf der Intensivstation, nachdem es eine Nachblutung und Komplikationen gab. Seine Frau, in Südamerika unterwegs, bekommt keinen Flug aus dem Land, kann nicht an seiner Seite sein. Ein Freund, als Selbständiger und unter Corona in eher prekären Krankenversicherungsverhältnissen, darf eine umfangreiche Kieferoperation wahrscheinlich aus eigener Tasche bezahlen. Seine Frau einen anderen Eingriff am Knie wohl ebenso. Es ist zum Hoilen und Weglaufen. Ob ich meine Arbeitsstelle in ein, zwei Monaten noch haben werde, scheint momentan ebenso ungewiss. Ich habe die ganze Zeit versucht, alles so gut es geht, emotional auf Abstand zu halten, um noch zu funktionieren, aber es ist zunehmend Hals zuschnürend. Der Mensch vom diakonischen Werk, der eine Seniorenberatung bei meinem alten Vater machen sollte, hat festgestellt, garnicht zuständig zu sein und seine Erleichterung darüber war am Telefon so unüberhörbar, dass ich am liebsten geschrieen hätte. Nun geht das Ansprechpartner+Terminsfindekarrussell wieder von vorne los + 1 Tag Urlaub für mich, mit 2 Stunden Anreise und 2 Stunden zurück, es ist halt auf dem Land. 

Und dann das Wetter auch noch. Windig, sabbelig, es schifft. Ich wünsch mir die klare helle Kälte von Schnee. Das wird nix mehr. Der Rheintalgraben ist warm.

Eigentlich mag ich den Februar. Steigendes Licht. Die Amseln plärren am Morgen, was das Zeug hält. Der Himmel malt rosa Streifen im Osten, wenn ich zur Arbeit radle. Irgendwann hab ich Geburtstag, ich bin im steigenden Licht geboren. Ich liebe diesen Monat, in dem alles plötzlich so schnell geht. Der Schnittlauch auf dem Balkon ist schon 2 cm hoch, der Estragon treibt aus, überwinterte Glockenblumen strahlen lilablau, ich gucke die Winterlinge aus dem Boden, die totgeglaubte Hortensie kommt. Nur, dass diesmal alles so schwer fällt. Die Kranken, all die Ungewissheiten, Hoffen und Warten und Beten. 

Erinnerung an den Todestag meiner Mutter vor 9 Jahren. 9 Jahre ohne ihr Lachen, ihre Liebe zu ihren Enkeln, Gespräche über Gott und die Welt, ihre Neugier, keine Rollstuhltour durchs Quartier ohne Stop in der Buchhandlung (wir lassen heute noch alle Bestellungen auf ihren Namen hinterlegen). Sie fehlt.

Heute ist mein Herz schwer.

Samstag, 5. Februar 2022

in den ritzen...

in den blinden augen der pfützen

schwimmt laub vom vorjahr

dazwischen

ein fingernageldünner mond

 

orion.

die kastanie

reicht mit dürren fingern

den großen jäger

von dach zu dach 


in den ritzen

hinterm sperrmüll

blüht eine glockenblume

unbeirrt im kaltwindigen februar


die laternen

gießen lichtpfützen ins dunkel

beleuchten meine

schlaflosigkeit.

im bett unter die schattenkante

des fensters räkeln

bis die müdigkeit über die augen kriecht



5.2.2022