Samstag, 29. April 2023

Hermana yo le quiero

 Für alle Frauen Schwestern

https://www.youtube.com/watch?v=oeU7rb-dBow


ich höre es sehe es zum werweisswievielten Mal und heule immer wieder

Mittwoch, 26. April 2023

free jamshid sharmahd

 nach 1000 tagen in isolationshaft, folterung und ohne kontakt nach aussen, wurde Jamshid Sharmahds todesurteil in iran nun bestätigt. er kann jederzeit hingerichtet werden. er ist deutschiraner - der mit deutschen pass vom geheimdienst der islamischen republik entführt wurde und seither gefangen gehalten wird. 

seien sie laut, teilen sie die entsprechenden petitionen 

https://linktr.ee/sharmahd

https://www.change.org/p/save-jamshid-sharmahd-jamshid-sharmahd-darf-nicht-hingerichtet-werden-abaerbock-auswaertigesamt-miro-spd-freejamshidsharmahd

 


Freitag, 21. April 2023

Himmelsspektakel

 

Das Gewitter zieht von hinterm Haus 


spektakulär und theatralisch übers Dach



knutscht die oberen Kastanienkerzen

 
und zieht vors Haus um
 

 bis es abtaucht.

Als es schon wieder heller wird, stapeln und verfielfachen sich plötzlich Donner, Flugzeugimlandeanfluglärmen und einsetzender Regen auf Hofgaragenblechgedöns

Wuuuusch

Sonntag, 16. April 2023

meine freundin geht auf ihre letzte reise

ich sehe zwei krähen auffliegen

sie landen nebeneinander wippend auf dem zaun, sehen sich an, eine streicht ab.

 

ich sehe das sonnenlicht gleissend auf dem rhein

und den himmel fast weiss. 


ich sehe blühende veilchen, ein büschel,

gewachsen auf angewehtem humus in einem baumknubbelknie

in einem langweiligen vorgarten unseres viertels.


ich sehe ein dünnes reis feuerdorn mit ein zwei drei blättern

gepflanzt in eine heckenlücke am wegrand in der josefstraße.


es ist der 14. april 2023. ich sehe, was du nie wieder sehen wirst, an, als sei es neu. 

ich erzähle dir meinen weg durch unsere straßen in gedanken, während du in deinem krankenbett dem tod entgegentreibst. schlafend. wortlos. beim erwachen verwirrt, bis dein blick fokussiert und zuklappt, weiterschläft. der anderen seite entgegen.

ich danke dir für 23 jahre und 4 monate freundschaft, küchengespräche, spaziergänge, juristisch-politische diskussionen, rückendeckung, unterstützung und hilfe, lachende zupackende frauensolidarität, ehrliche fragen und kommentare, und all die jahre deiner liebe zu meinen kindern.

ich danke dir für dich, liebste freundin

immer für dich

Sabine

danke

 

gute reise

Freitag, 3. März 2023

bäh. und ein paar links.

 hinter der fensterscheibe ist die sonne schön warm. in lichtflecken stehen. augen zu.

würde am liebsten das bett in die sonne zerren. geht nicht. falsche wohnungsseite....

immer noch kränklich, nachdem die grippe mich zwei drei tage komplett ausgeknockt hat. gestern war mir wieder nach ohren wackeln, staubsauern, kochen, wäsche machen... bin dann natürlich zu lange auf geblieben, verfroren ins bett und stunden nicht warm geworden. kein guter nachtschlaf. heute morgen eine arg verzauste verpeilte eule im spiegel. bäh. friere. 

 im iran werden mädchen vergiftet, mit essen, mit giftigem gas, daniela sepheri und gilda sahebi berichten, folgen sie ihnen auf ig, auf den podcasts, hören sie zu, machen sie es publik, nichts hasst das regime mehr, als die internationale aufmerksamkeit, sagen die beiden.  

ausserdem: die zweite folge von trauer und turnschuh ist raus, danke an hadija haruna-oelker und max czollek, es ist wichtig und großartig und denk- und lernstoff. ich höre sie beide gerne öffentlich denken. 

fridays for future läuft heute auch bei uns, 15.00 uhr, gutenbergplatz. ich bin zu krank. gehen sie mit, schlagen krach. es geht um unser aller zukunft.  gemeinwohlorientiertsein beisst sich mit stur kapitalistischem immer-weiter-wachsen. unser wachstum geht schon seit jahrhunderten zu lasten des sogenannten globalen südens. aber das pendel schlägt zurück.

passen sie auf sich auf. bleiben sie freundlich. versuchen sie heiter zu sein. nehmen sie wen in den arm. küssen sie ihre lieben. trinken sie tee. tanken sie sonne.

 


Samstag, 25. Februar 2023

die wagen ihrer mutter

es ist ein trübgrauer donnerstagmorgen als tess in den archivraum geht, akten einscannen. vor dem fenster ein fiat ducato, ein kastenwagen mit auffälliger werbelackierung, ohne fenster im kastenteil. die schiebetür öffnet sich und ein mann steigt aus. tess achtet mit fingerspitzendruck auf den scanner, der gerne papier doppelt zieht und sieht dem mann draußen zu. er hat schlabbrige shorts an, die unter dem steissbein hängen, nackte waden in schlappen, zu kalt für den februar. kurz überlegt sie, ob er im wagen geschlafen hat. 
als er nach vorne geht, die beifahrertür öffnet, sich hineinbeugt, noch mehr poritze zeigt, eine zigarette nimmt, sie das zickzickzick des feuerzeugs durchs geschlossene fenster nicht hören kann, aber trotzdem hört, rollt die geruchserinnerung wie eine woge über sie hin.

kalter zigarrettenrauch in einem auto, gemischt mit dem geruch von plastik, metall und benzin und, im wagen ihrer mutter, immer mit druckerschwärze.
ein bitterer geruch, sauer, kratzig und rauh.

tess schüttelt den kopf. so hatte der ockergelbe vw polo gerochen. lehmfarben wie die erde ihrer heimat. ein auto, dem man den dreck nicht ansah, das den ganzen sommer unter der zuckernden trauerweide stand und mit einer schicht läusesüß, strassenstaub und lehm bedeckt war, die die scheibenwischer nicht packten. dann musste ein eimer mit wasser her. in die waschstrasse fuhr die mutter nicht, lohnt sich nicht, da müsste ich dreimal durch bei dem bapp. im herbst gibt es regen.

der wagen war ihr dritter gewesen. ein notkauf, nachdem die mutter den funkelnagelneuen toyota, auf den sie so lange gespart hatte, an einem eisglatten herbstmorgen kopfüber durch ein feld pflügend zu schrott gefahren hatte, unversichert natürlich.
tess lebte zu dem zeitpunkt schon nicht mehr zuhause. sie war in ihrer alten studentenstadt in eine nichtraucher-WG gezogen, wo sie dennoch monatelang reflexhaft beim einkaufen ins zigarettenregal griff nach der marke der mutter. 

am wochenende war sie heimgekommen. der toyota fehlte und auf der treppe stand mutters einkaufskorb, schlammverschmiert. was ist passiert, fragte sie. die mutter erzählte, wie der wagen bei glatteis weggeschleudert war und sie auf dem kopf stehend, die brennende zigarette noch immer in der hand, zum stehen gekommen war. es könnte benzin ausgelaufen sein, hatte sie gedacht und die kippe konzentriert im wagenhimmel ausgedrückt.

der wagen war futsch, das geld auch. der unfassbar schielende tankstellenmann, eine seele von mensch von drei zentnern, der sie schon jahrelang kannte, hatte mitleid und einen alten polo im hof, den er ihr günstig verkaufte. sie fuhr ihn jahrzehnte.
druckerschwärze, abgasmief, fahrzeugplastik, das roch, wie fahrzeugplastik in den siebzigern gerochen hatte und nikotin.
eine schmierige schwarze schicht, die innen auf der windschutzscheibe klebte. war sie beschlagen und man wischte darauf herum wurde sie nur noch schlieriger und alle ärmel, taschentücher und lappen waren schwarz.

der erste wagen war eine ente gewesen. mutters protest gegen die stigmatisierung im ort, gegen scheele blicke und getuschel, geschiedene frau, alleinerziehend (wenn man die großmutter vergaß, die tess jahrelang mittags mit essen versorgte, ehe sie sich, selbst schon über siebzig, zum mittagsschlaf hinlegte und das mädchen seine schularbeiten machen hieß). tess' mutter arbeitete in einem männerberuf, in dem ihr keiner was vormachen konnte. sie war stolz. auf ihren job, auf ihre entscheidungen, auf ihr leben.

sie war 35 als der mann ging, oder von ihr gegangen wurde. tess war nie etwas erklärt worden zur trennung ihrer eltern. sie wurde vor vollendete tatsachen gestellt und der vater war weg. die mutter lernte mit 35 autofahren, fuhr wagemutig und schon in der fahrschule gerne zu schnell. ihr erster wagen, die knallgelbe ente, stand wochen im garten, bis die mutter den führerschein hatte. am abend saß sie im auto und übte die knüppelschaltung bedienen.

die ente war aufruhr und statement. aufgeklapptes verdeck, auf dem beifahrersitz bäume, die oben herauswehten oder tess' kumpel gerri, der sich auf den sitz stellte und majestätisch den fußgängern zuwinkte. sie lachten sich kaputt hinterher.
selbst der hund war auf das charakteristische motorengeräusch geeicht. brummte das gelbe getüm die einfahrt entlang, sauste er aus dem korb und stand wedelnd an der tür, bis die mutter im blaumann nach druckerschwärze und zigaretten riechend, hereinkam.

die ente war so klapprig und zugig, dass sie wenig nach auto roch. das ganze jahr über streuselte sie aus den lüftungsklappen im fond birkensamen auf jeden, der den fehler beging, die klappen zu drehen. sie war transportmittel und lastkarre; ächzte unter von abrisshäusern geklauten fensterstürzen aus sandstein, mit denen die mutter gartentreppen baute. sie liebten dieses auto, das selbst mit zerstörtem auspuff, wie ein traktor röhrend, noch fuhr, eine kaputte tür mit einer riesigen hellblauen schleife festgebunden.
als die reparaturen zu teuer werden drohten und die schäden zu häufig, hatte die mutter genug gespart für den kleinen schicken toyota.

dem 6 monate später der stinkende polo folgte.

tess schüttelt den kopf, versucht mit husten den geruch und geschmack von plastikstinkendem wageninnern, abgasen und nikotin loszuwerden, der hartnäckig wie schmieröl an ihrer erinnerung klebt.

der typ draussen am fiat sieht gleichgültig zu ihrem fenster, zieht seine shorts hoch und läuft die straße hinunter zur bäckerei.
 
 
25.2.2023



mit dem zug in die alte heimat

 mit dem zug in die alte heimat


jedes mal, wenn ich fahre, und ich fahre selten, neugier und verwunderung über neues.
eine weitere bahnstation auf der strecke, weggefallene haltepunkte.
die ortschaften und städte, die, eingekeilt zwischen bahnlinie und bundesstrasse, aufeinander zuwachsen und die gewerbegebiete mit ihren einmal rin alles drin-zweckbauten miteinander teilen. jedes mal sind mehr windräder auf den hügeln gewachsen.
 
weinberge gibt es immer noch. winterkahle reihen hügelabwärts wie mit dem lineal gezogen, von der bundesstraße oder einem quer laufenden hohlweg geschnitten; richtung bahnlinie und fluß von feldern abgelöst, in denen im sommer mais steht oder rüben, manchmal getreide. in den selten gewordenen senken winken ausgeblichene schilfbüschel. in trockenen monaten werden die felder bewässert, das zick-zick-zick der drehpumpen läuft manchmal im april schon. 

ich nehme mir vor, im frühjahr wieder zu kommen, wenn jede zweite rebenreihe gefüllt ist mit leuchtendem löwenzahn und die schlehen in hängen und gräben duftende wolken sind.

angekommen wecke ich das haus, ziehe läden hoch, öffne fenster, lasse wasser laufen und lese zählerstände ab. begrüße im hof jedes büschel lerchensporn, das sich zärtlich vermehrt hat. steche suppentellergroße stachelbiestige distelrosetten aus.
auch das löwenmaul hat überlebt. ich überlege, es umzusetzen, aber um die wurzel zu schonen müsste ich zwei backsteine heben, was einarmig, solange der gebrochene arm noch in der schlinge ist, heute nicht geht.

auf dem friedhof verstecke ich blumenzwiebeln unter dem efeu wie ein eichhörchen nüsse und hoffe, dass der frühling sie findet.

ein eisiger schauer treibt mich vom kirchberg herunter. am liebsten würde ich mich zu den schneeglöckchen ducken, aber man sah mir schon arwöhnisch zu, als ich am grab wunderkerzen abbrannte, aber nachher die kerze nicht anbekam (der wind war zu stark).

den nachmittag über sitze ich bei verwandten. wir lassen im erzählen unsere alte gasse auferstehen.
frau s, die ich immer um ihren garten beneidete mit seinem riesigen schleierkrautstrauch, der mit tiefroten rosen vor ihrem taubenblauen schuppen wuchs. so schön wollte ich auch einen garten. schleierkraut hatten wir nie.
die alte frau e "die wurde über 100!", als greisin dement und kindisch (zum glück! als kinder fürchteten wir ihre boshaftigkeit), tante p mit den hasen, g's jugend und meine kindheit in den gassen, radfahren lernen auf schotterstraßen, hühner im hof, zweitweise ein schwein, die kinderschulterschmalen reule in andere höfe, wo wir uns besuchten und spielten.

die hühner, sich balgend um nudelreste von mittagessen, die vom küchenabfluss direkt in den hof durch's "flösschen" schwammen.

an was wir uns schweigend erinnern: die gerüche. vieh und stroh, nasse briketts, atmende lehmkellerkühle, ungelöschter kalk im plumpsklo gegen die maden.

wir gehen die nachbarschaft durch. die m's, schweigsam und freundlich, "waren denn h's nicht verwandtschaft?" "doch, aber die zogen früh weg". familie sch., getroffen mit selbstmord und wahnsinn. frau a, die so gut schneidern konnte, mit ihrem immer gleichen typ frauenverachtenden liebhabern. "warum bloß? sie war doch nicht dumm. hässlich auch nicht."
später im gespräch fällt die antwort "sie war gutmütig. zu gutmütig. auch zu den ekeln"

schwalben unter den giebeln. erste modernisierungen von mistkauten zu regelmäßig geleerten abwassergruben, schließlich kamen kanalanschlüsse, wurde die straße geteert.

fast keiner lebt mehr dort. auch meine verwandten wohnen in einem anderen ortsteil. die einen zu alt, weggezogen die andern, gestorben, die häuser verkauft, der schöne garten mit einem klotzigen mietshaus bebaut, andere gärten geteilt, voller häuser gestellt. kein baum mehr, kein strauch.
die hausgesichter noch abweisender zur straße zu als sie früher schon waren, giebelständig, daneben verschlossene tore.
in den höfen: parkplätze. keine schwalben mehr unter den giebeln.

während wir reden tobt sich aprilwetter im januar aus. vor dem einen fenster ein rüttelnder falke über den feldern, dahinter spannen sich zwei regenbögen, der vordere so funkelnd und strahlend, dass er unecht erscheint. leuchtreklame des himmels. farbiges hologramm.

vor dem anderen fenster treibt regen im spitzen winkel, silberne fäden, theatralisch von der sonne bestrahlt.

als es aufklart, gehe ich, erinnerungssatt, voller lachen und weinen und reden. dankbar. umarmt.

danke an dieses stück heimat, das meine wurzeln verwahrt, die erinnerung meiner nackten füße an sommerpudrigen lehmstaub, backsteingepflasterte höfe und weich ausgetretene sandsteinstufen, an schwalbenrufe und wettsprünge von hofmauern in tiefer liegende gärten, den singenden klang der holztreppe in großmutters haus, an die menschen, die meine kindheit begleitet, behütet, bewacht haben vor so langer zeit. 
 



ebenfalls ein nachgetragener text aus dem januar 2023.