we have to think in decades
Wir müssen in Dekaden denken. Oder zumindest in 5 Jahres-Zeiträumen. Das uns das schwerfällt, wissen wir alle. Sonst hätten die Club of Rome Vorhersagen von 1972 ja schon längst ein Umdenken und Umhandeln und Umbewerten in die Wege geleitet, mit tiefgreifenderen Änderungen/Eingriffen, als all den eher halbherzigen Bemühungen verschiedenster Staaten und Staatengemeinschaften, dem Klimawandel entsprechend ernsthaft zum Schutz unser aller Lebensbedingungen zu handeln.
Wir sitzen hier im Rheintalgraben. Weinanbaugebiet. Warm. Obstbau. Zuckerrüben, Mais, Raps, Getreide. In den letzten sehr warmen Frühjahren wurden die Rübenäcker schon im April gewässert. Und dennoch war die Rübenernte immer mieser, kleine Feldfrüchte, weil zu trocken. Alte Weinberge, deren Wurzeln sehr tief reichen, kommen eher klar als einjährige Feldfrüchte.
Wir sitzen im Rheintalgraben, beobachten bei trockenen Sommern, wie der Rhein schrumpft, bis die Frachtsschifffahrt reduziert werden muss, weil Teile des Flusses schwer schiffbar werden.
Wir sitzen im Schrebergarten und bekommen im April die Bitte des Vorstandes ans schwarze Brett gehängt, es soll kein Rasen gewässert werden, weil das Wasserwerk grad einen Wasserverbrauch wie sonst nur im Juni verzeichnet.
Wir sitzen im Rheintalgraben und wenn er weiter wärmer wird, werden wir Alle, SchrebergärtnerInnen, LandwirtInnen, StadtbewohnerInnen, (und wasserabhängige Industrie ebenso!) ab April, Mai, ums Wasser konkurrieren. Schliesslich die LandwirtInnen untereinander - welche Feldfrucht, welcher Anbau darf wässern, welche Sorten, wieviel % Hektar je Betrieb, egal, wir kommen in Konkurrenz. Und es wird ja nicht nur bei uns wärmer! Spanien hat durch die intensive Landwirtschaft seine Grundwasserspiegel so abgesenkt, dass da die Landwirtschaft auch über kurz oder lang eingehen wird.
Wie sitzen im Rheintalgraben und ich weiss noch, wie die Felder meiner Kindheit aussahen. Die Feldflächen waren kleiner, die Baumränder, Heckenränder, Buschränder, Bächlein, Schilfstreifen waren viel viel mehr. Und, mehr Karnickel, mehr Feldhasen, Rebhühner, Eulen, Käuze, Insekten, führen Sie die Liste beliebig fort.
Der Fachbegriff lautet Agroforstwirtschaft. Und zu der müssen wir zurück. Und zwar schnell. Schnell. Frau Klöckner, die mit der Industrie knutscht, wird das weder je kapieren noch umsetzen. Wieso Agroforstwirtschaft. Alle Streifen mit Bäumen, Sträuchern, Hecken, Büschen, Schilf bremsen Wind, halten Wasser, bringen Schatten, geben Schutz, Nahrung, Kleinklima.
Große Flächen heizen sich auf, der Wind trägt Krume ab, Starkregen schwemmt Erde davon, schweres Gerät verdichtet den Boden, macht ihn lebensarm.
Wir müssen in Dekaden denken. Und die Weichen dazu müssen JETZT gestellt werden.
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Robin Wall Kimmerer beschreibt in Gathering Moss, wie die illegalen Moospflücker in Oregon die moosbehangenen Bäume kahl rupfen, nackt machen, wie ein Frau vor ihren Peinigern, wie sie es eindringlich und schmerzhaft beschreibt. Die BiologInnen, unter ihnen Kimmererer, können nur noch den Schaden verzeichnen. Und sie machen sich auf die Suche nach der Antwort, ob und wie und wie schnell das Moos die Bäume besiedelt. Sie stellen fest: Auf die alten nackten Bäume geht keines mehr. Oder es braucht Dekaden.
Wie also wächst es. Mit den Schößlingen. Mit den kleinsten Jungbäumen. Überall dort, wo ein Blatt abfällt, entsteht am Zweiglein eine winzige Narbe. Ihr wisst, wie sie aussehen. Und genau dort, in diese kleinen Einbuchtungen, dort siedeln sich ein zwei Sporen an. Und wachsen mit dem Baum.
Das Moos ist so alt wie die Bäume.
Okay. Lassen wir uns das mal auf der Zunge zergehen. Etwas so wichtiges, das Lebensraum, Wasserspeicher, Wasserfilter, Klimamacher ist, das so winzig ist - ist so alt wie die Bäume.
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Sohn eins hat mir über die Weihnachtsferien seine 6 Bände Lied von Feuer und Eis ausgeliehen. Als ich sie durchhatte, besorgte er mir die restlichen vier von einem seiner Freunde. Bingereading.
Gestern fragte er mich, ob sie mir eigentlich gefallen hätten. Ja! Wir reden über einzelne Figuren, Ahndlungsstränge, über die Umsetzung in der Serie Game of thrones (die ich nicht gesehen habe) und ich bleibe an Bran hängen. George R.R. Martin lässt den jungen querschnittsgelähmten Brandon zum Gestaltwandler werden. Jemand, der kraft seiner Gabe und Gedanken in jedes Tier schlüpfen kann, in der Wolfsgestalt jagen, in der Krähengestalt fliegen.
Und er bringt ihm bei, dass für den Gestaltwandler Zeit nicht mehr linear ist. Dass er die Möglichkeit hat, genauso in Vergangenheit wie Gegenwart zu switchen.
Er lehrt ihn, in die Wurzeln des Wehrholzbaumes zu gehen, den Stamm hochzusteigen und aus den Augen, die die Menschen in die Stämme geschnitzt haben, hinauszusehen.
Mich hat dieses Bild, in das Bewusstsein eines Wesens zu schlüpfen, das viel viel älter ist und wird als ein Mensch, das ortsgebunden ist, das viel viel größer ist und so vollkommen anders als ein uns doch verwandtes Säuge- oder Wirbeltier, fasziniert. Ein Baumbewusstsein. Mit einem vollkommen anderen Zeitbegriff als unserem kurzen Menschenalter. Irre, oder?! Und der lineare Zeitbegriff, der uns ab Geburt fest im Griff hat und alles taktet, ist aufgehoben.
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Hat Jemand den Film Arrival gesehen? Zwölf monolithen-muschelförmige Wesen, die auf der Erde landen und Kontakt aufnehmen. Und einen nichtlinearen sondern zirkulären Zeitbegriff haben - Vergangenheit, Zukunft, Gegenwart, existieren gleichzeitig, liegen nebeneinander. Das ist etwas, was mir als linearem Wesen, mir vorzustellen, so gut wie nicht gelingt, aber für mich so unglaublich anziehend ist. Diese Imagination der nebeneinander liegenden Gleichzeitigkeiten, eines zirkulären Zeitbegriffs hat einen irren Sog, eine Faszination, eine Herausforderung! Es mir wirklich vorzustellen gelingt vielleicht für den Bruchteil einer Sekunde, und dann ist es weg.